Der Arbeitskreis II des diesjährigen Verkehrsgerichtstages in Goslar stand unter der Überschrift Problemfeld Schmerzensgeld. Der Arbeitskreis wurde geleitet von Herrn Wolfgang Wellner, Richter am Bundesgerichtshof. Weiterer Referent war Herr Dr. Jan Luckey, Richter am Landgericht Köln. Beide sind Herausgeber von Urteilssammlungen zum Schmerzensgeld. Weiterhin wurde ein Vortrag durch einen Vertreter der Versicherungswirtschaft und der Anwaltschaft gehalten.
Kern der Beratungen war eine Auseinandersetzung mit dem Thema Schmerzensgeld, Schmerzensgeldtabellen und der damit einhergehenden Fragen, inwieweit eine Schematisierung von Verletzungen und Schmerzensgeldbeträgen möglich und gewünscht ist.
Grundsätzlich wurde der Eindruck erweckt, dass die Teilnehmer mit dem bisherigen System einverstanden sind, weil dies im Rahmen der Entscheidung Freiheit gewährt, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden. Dies könne mit festen Sätzen, wie es zum Teil in benachbarten EU Staaten praktiziert wird, nicht erreicht werden. Zudem wurde festgestellt, dass das in Deutschland üblicherweise bezahlte Schmerzensgeld im oberen Drittel des EU-Durchschnitts läge.
Empfehlungen des Arbeitskreises
Folgende Arbeitsthesen wurden vom Arbeitskreis erstellt und mit überwiegender Mehrheit als Empfehlung beschlossen:
- Schmerzen und menschliches Leid lassen sich nicht formalisieren.
- Der AK empfiehlt deshalb, grundsätzlich bei dem bisherigen System der Bemessung des Schmerzensgeldes zu bleiben, um den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles gerecht zu werden.
- Dabei sollten die bisher in der Rechtsprechung gewonnenen Maßstäbe den Ausgangspunkt für die Bemessung bilden, ohne allerdings bindenden Charakter zu entfalten. Entscheidungssammlungen können dabei eine wichtige Orientierungshilfe darstellen, damit in vergleichbaren Fällen keine groben Ungleichgewichte entstehen.
- Das derzeitige System steht einer Tendenz zu höheren Schmerzensgeldern hierbei nicht entgegen und sollte auch den Blick nicht versperren auf andere Lösungsansätze, insbesondere in anderen EU-Staaten.
Die vorgetragenen Thesen sind in ihrer Allgemeinheit sicherlich nicht zu kritisieren, sind aber aus unserer Sicht zu wenig differenziert und der Ernsthaftigkeit des Themas nicht angemessen.
Nicht alle Parteien an den Diskussionen beteiligt
Aus unsere Sicht muss kritisiert werden, dass sich auf der Veranstaltung lediglich Vertreter der Richterschaft, Anwaltschaft und Versicherungswirtschaft trafen, Opferverbände jedoch offensichtlich weder geladen wurden, noch mit dem Verkehrsgerichtstag zusammenarbeiten. Opferverbände haben offensichtlich nicht erkannt, dass die Richtlinien der von Ihnen kritisierten Regulierung auf solchen Tagungen festgelegt bzw. diskutiert werden. Hier sollten sich Opferverbände wesentlich mehr engagieren und Lobbyarbeit betreiben.
Außergerichtliche Regulierung – Die Rolle der Versicherungen
Von Seiten der Versicherungswirtschaft wurde erklärt, dass man im Bereich von Personengroßschäden stets sehr großzügig reguliere. Ob dies den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht darf bezweifelt werden und wurde im Forum auch kritisch aufgenommen. Die Richterschaft bestätigte diesen Eindruck, mit der zweifelhaften Begründung, dass aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren vergleichsweise wenig Großschäden durch die Gerichte entschieden werden mussten. Der Grund für diese falsche Interpretation der Richterschaft liegt aus unserer Sicht darin, dass viele Geschädigte den langen Weg durch die Instanzen scheuen und auch nicht über die finanziellen Mittel verfügen, solche Prozesse durchzustehen. Im Allgemeinen Führt ein schwerer Personenschaden meist auch zu einer finanziellen Schieflage, da der Geschädigte kein regelmäßiges Einkommen mehr generieren kann. Anwälte können solch langfristige und schwer zu bearbeitende Fälle meist nicht auf Basis von Prozesskostenhilfe übernehmen, sodass die Annahme eines vergleichsweise geringen Schmerzensgeld-Vergleichs der praktisch einzig sinnvolle Weg ist, um einen Ausgleich zu erhalten.
Erhöhung des Schmerzensgeldes zu Lasten der Versicherungswirtschaft
Ferner wurde diskutiert, dass die Höhe des Schmerzensgeldes durchaus mäßig angehoben werden könne, aber die Versicherungsgemeinschaft dürfe durch ein höheres Schmerzensgeld nicht übermäßig belastet werden. Dies wurde bereits durch den BGH in seinem Urteil aus dem Jahre 1993 (JZ 1993, 516, 518) als Kriterium festgehalten.
Aus unserer Sicht geht diese Argumentation vollständig am Thema vorbei, da - wie so oft - nicht das Opfer im Mittelpunkt steht. Ansatzpunkt muss der Opferausgleich sein und nicht, was sich die Versicherungswirtschaft leisten will. Nachdem kein Opfervertreter am Tisch saß, gab es hierzu keine fruchtbare Diskussion. Lediglich der Auftritt der Autoren des Buches „Tagesgenaue Berechnung des Schmerzensgeldes“ führte zu einer Belebung der Auseinandersetzung.
Transparenz fördern
Aus Sicht der Verfasser hätte man der außergerichtlichen Regulierung einen größen Raum geben müssen. Dies ist nicht erfolgt aber (wohl) dem Umstand geschuldet, dass der Verkehrsgerichtstag durch Richter initiiert wird und daher Urteile im Mittelpunkt stehen.
Es wäre wünschenswert, dass hier von Seiten der Versicherungen für mehr Transparenz gesorgt wird. Es ließe sich für die Versicherungswirtschaft ohne weiteres auch durch Zahlen belegen, wie deren Regulierung in der Praxis aussieht. Es gibt hierzu keinerlei belastbare Zahlen. Die Behauptung des Vertreters der Versicherungswirtschaft, wonach in der Regel eine großzügige außergerichtliche Regulierung erfolgt, widerspricht der regelmäßigen Erfahrung der Verfasser. Es wird also an die Versicherungswirtschaft appelliert, belastbare Zahlen und Statistiken zur außergerichtlichen Regulierungspraxis zu veröffentlichen.
Ziel von schmerzensgeld.info ist es, gerade im außergerichtlichen Regulierungsbereich für mehr Offenheit und Information zu sorgen, wobei die Versicherungen über einen weitaus größeren Datenpool verfügen, diesen aber nicht zur Verfügung stellen.
Es sollte Ziel eines Arbeitskreises sein, mehr Transparenz in die Diskussion zu bringen.
Schematisierung der Schmerzensgeldhöhe
Auch der Vorschlag einer Tag genaue Berechnung von Schmerzensgeld wurde diskutiert und als neuer Ansatz positiv aufgenommen. Jedoch wurde festgestellt, dass diese schematische Herangehensweise nicht zu mehr Gerechtigkeit in der Praxis führen kann.
Lösungsansatz
Aus Sicht der Rechtsanwälte ist zumindest bei geringeren Personenschäden eine Schematisierung wünschenswert, da diese Fälle sowohl für die Versicherungswirtschaft, als auch die Anwaltschaft einen übermäßigen Arbeitsaufwand bedeuten. Gerade bei dem Massenphänomen HWS Distorsion (Schleudertrauma), welches medizinisch nur schwer nachweisbar ist, würde dies für alle Beteiligten zu einer Entlastung und gleichzeitig zu einer Verbesserung der Rechtssicherheit führen.
Die Verfasser plädieren dafür, im Rahmen eines Arbeitskreises (bestehend aus Vertretern der Versicherungswirtschaft, Opferverbänden, Anwalt- und Richterschaft) für sehr häufig vorkommende Verletzungen Rahmenbedingungen etwa nach englischen Vorbild zu schaffen, die allgemein akzeptiert werden, aber nicht die richterliche Freiheit der Abweichung im Einzelfall einschränkt.
An dieser Stelle muss jedoch die außergerichtliche Regulierung und dabei insbesondere das Regulierungsverhalten der Versicherungen in die Diskussion miteinbezogen werden. Die Richterschaft und damit der Verkehrsgerichtstag ist hieran zwar nur indirekt betroffen, gleichwohl wäre eine solche Diskussion wesentlich näher am Thema und zielführender. Dies setzt jedoch den Willen der Versicherungswirtschaft zu mehr Transparenz voraus.
Eine solche Tendenz könnte zu mehr Gerechtigkeit bei der Entschädigung und einer Arbeitsentlastung sämtlicher Parteien und Gerichte führen. Gleichzeitig zeigt ein solcher erster Schritt in Richtung Schematisierung eine Öffnung zu unseren europäischen Nachbarn, welche teilweise eine solche Schematisierung praktizieren, und bereitet unser Schmerzensgeld-System hinsichtlich einer zu erwartenden Harmonisierung in Europa vor. Dies sollte ein zukünftiger Verkehrsgerichtstag aufgreifen.